Rind und Wir - August 2023

Hitzestress ändert das Kuhverhalten und sie fressen und leisten weniger RINDUNDWIR August 2023 62 IST ZUCHT AUF HITZETOLERANZ MÖGLICH? Klimawandel regt zu Überlegungen an Die Auswirkungen des Klimawandels mit verheerenden Auswirkungen, insbesondere der Frühjahrs- und Frühsommertrockenheit auf die Grundfuttermenge und auch Grundfutterqualität, haben die milchkuhhaltenden Betriebe in den letzten Jahren vor große Herausforderungen gestellt. Hintergrundinformation Diesbezügliche meteorologische Vorhersagemodelle mit prognostizierten kontinuierlichen Temperartursteigerungen weisen auf eine weitere zukünftige Verschärfung der Lage hin. Zusätzlich zur angespannten Futtersituation berichten sowohl Landwirte als auch Wissenschaftler von direkten unerwünschten Hitzestresseffekten auf Leistungsmerkmale und funktionale Merkmale (weibliche Fruchtbarkeit, Zellzahl in der Milch) der Milchkühe. Physiologen haben ermittelt, dass die Wohlfühltemperatur für hochleistende HF-Kühe im Bereich von 4° bis 16° Außentemperatur liegt und schon bei einer Außentemperatur von 25°C Hitzestress eintritt (bei hohem Luftfeuchtegehalt noch eher). Wenn in der Praxis dann nicht mit entsprechenden Managementmaßnahmen reagiert wird, wie Kühlung mittels Ventilatoren oder Sprinkleranlagen, dann sieht man die Kühe an heißen Tagen apathisch hechelnd an kühleren Plätzen im Stall stehen und die Futteraufnahme ist deutlich reduziert. Eine nachhaltige und langfristig einfache Lösung ist die Zucht hitzetoleranter Tiere. In heißen Klimaten in Afrika oder Südamerika werden vermehrt hitzetolerante Rassen verwendet, die spezielle Gene, beispielsweise für die Ausbildung des Haarkleides tragen, wie Carora- und Senepol-Rinder oder Girolanda als synthetische Rasse aus der Kreuzung mit Brahman. Allerdings wird in Deutschland niemand wirklich gewollt sein, Milchproduktion mit derartigen Rassen zu betreiben, denn der Betriebsgewinn in den meisten norddeutschen Produktionssystemen wird mit leistungsstarken, funktionalen und langlebigen HF-Tieren maximiert. Ziel muss daher sein, innerhalb der genetisch immer noch sehr breit aufgestellten HF-Population die Tiere zu identifizieren, die aufgrund ihrer genetischen Architektur am besten mit Stressbedingungen wie Hitzestress klarkommen. Allerdings ist Hitzestress direkt auf Basis innovativer Merkmale wie Respirationsraten, Enzymgehalten im Blut oder Hormonprofilen unter Praxisbedingungen nur schwierig und an einer geringen Tierzahl messbar. Die Landwirte dürfen nicht immer mehr mit der Erfassung weiterer neuer Zuchtmerkmale zusätzlich zu den Routinearbeiten in den Betrieben überfrachtet werden. Deshalb muss ein praktikabler Ansatz für eine Zuchtwertschätzung Hitzetoleranz gefunden werden, der auf Merkmalen basiert, die aktuell schon an einer großen Tierzahl erfasst werden. Die Idee einer Zuchtwertschätzung für Hitzetoleranz Im Jahre 1998 wurde die offizielle Zuchtwertschätzung für Milchleistungsmerkmale mit dem sogenannten Testtagsmodell eingeführt. Das Testtagsmodell erlaubt die Schätzung von Zuchtwerten für Milch-kg, Fett-kg, Eiweiß-kg und Zellzahl zu jedem Laktationstag. Besamungsbullen bekommen somit Zuchtwerte für jedes dieser Merkmale für jeden Laktationstag von Tag 1 bis Tag 305 ausgewiesen. Genetischer Hintergrund ist, dass zu verschiedenen Zeitpunkten in der Laktation verschiedene Gene für das gleiche Merkmal ein- oder ausgeschaltet werden. Mittels dieser Vorgehensweise können Bullen mit guter Persistenz identifiziert werden, also beispielsweise Bullen, deren Milchzuchtwerte am Ende der Laktation höher sind als zu Laktationsbeginn. Genau dieses Konzept wird nun für die Hitzetoleranzzuchtwertschätzung erweitert. Zusätzlich zum Zeiteinfluss „Tage in Milch“ wird jetzt auch ein kontinuierlicher Klimaumweltdeskriptor genutzt, nämlich der sogenannte TemperaturLuftfeuchte-Index (THI). Der THI kombiniert engmaschig erfasste Temperaturen und Luftfeuchten, am besten direkt im Stall erfasste Messgrößen, da offizielle Wetterstationen teilweise zu weit entfernt sind und nicht unbedingt das tatsächliche Stallklima abbilden. Nun werden die Zuchtwerte für u. a. Milch-kg von Bullen und Kühen nicht nur auf der Zeitskala, sondern auch auf der Umweltskala analysiert. Robuste oder hitzetolerante Bullen haben dann stabil hohe Milchzuchtwerte, sowohl unter „Wohlfühlbedingungen“ als auch bei Hitzestress. Merkmalsreaktionen können umso genauer abgebildet werden, je engmaschiger die

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