Rind und Wir - August 2023

42 Juli 2023 INFOS aus BRS und vit Alles im Fluss? Die Melkbarkeit im Fokus Stramm-Melker, Langsam-Melker oder Schwer-Melker – die praktischen Formulierungen für Tiere mit schlechterer Melkbarkeit sind schier grenzenlos. Doch was ist langsam und was schnell beim Melken? Das vit führt seit 2004 eine Zuchtwertschätzung für die Melkbarkeit und das Melkverhalten von Holsteins durch. Die Melkbarkeit ist als Milchfluss definiert, das heißt als Durchschnittliches Minutengemelk (Relativ-Zuchtwert Durchschnittliches Minutengemelk, RZD). Damit ist der RZD eindeutig getrennt vom Zuchtwert für Melkverhalten (MVH), welcher u. a. das Temperament beim Melken beschreibt. Mit einer Heritabilität von 0,25 und einer genetischen Streuung von 0,32 kg/min für den Milchfluss/RZD ist eine gute Grundlage für die züchterische Bearbeitung gegeben. Zahlreiche Daten Die Daten zum gemessenen Milchfluss stammen hauptsächlich aus Betrieben mit automatischer Milchmengenmessung. Die Daten werden im Rahmen der Nachzuchtbewertung für Erstkalbskühe abgefragt. Pro Jahr wächst der Datenbestand für den gemessenen Milchfluss damit um rund 100.000 Tiere (vit, 08.2022). Der Mittelwert für den Milchfluss in den aktuellen Jahrgängen liegt bei 2,49 kg/min und entspricht damit etwa einem RZD von 100. Doch nicht alles gleich?! Beim genaueren Hinschauen auf die Durchschnittswerte der einzelnen Zuchtverbände ergibt sich ein heterogenes Bild. Die durchschnittlichen Minutengemelke variieren in den Regionen von 2,31 kg/min bis hin zu 2,78 kg/min bedingt durch die unterschiedliche Verbreitung von betrieblichen Mess-/Melkstandsystemen. Eine Kuh mit im Schnitt 2,5kg/min wäre somit in einem Bundesland „Langsam-Melker“ und im anderen eher „schneller.“ Der Vergleich von absoluten Zahlen ist somit über Regionen hinweg wenig aussagekräftig. In der Zuchtwertschätzung werden betriebliche/ regionale Unterschiede korrigiert, und die RZD-Werte sind daher voll vergleichbar (vit, 2023). Und welchen Bullen setze ich nun ein? Die Ansprüche der Betriebe an einen Bullen sind vielschichtig und sehr individuell. Die Melkbarkeit ist bei einigen dabei oft als K.O.-Kriterium genannt. Diese Herangehensweise ist jedoch nicht richtig. Ein Bulle mit RZD 100 verändert die genetische Veranlagung für Melkbarkeit angepaart auf eine durchschnittliche Mutter nicht. Die genetische Streuung für den Milchfluss liegt bei 0,32 kg/min, das bedeutet, dass ein Bulle die Hälfte seines genetischen Potentials an seine Nachkommen weitergibt. Damit melken die Töchter eines Bullen mit RZD 88 bzw. 112 im Mittel 0,16 kg/min langsamer bzw. schneller gegenüber den Töchtern eines Bullen mit einem RZD von 100. Damit haben Nachkommen eines schwachen Bullen für RZD mit 88 bei Anpaarung an eine durchschnittliche Kuh (RZD = 100) noch immer eine Melkbarkeit von ca. 2,33 kg/min. Selbst die Nachkommen eines Bullen mit einem RZD von 76 haben im Mittel immer noch einen Milchfluss von über 2 kg/min. Optimal am besten Der Milchfluss ist ein echtes Optimalmerkmal, denn auch ein schneller Milchfluss hat Nachteile. Eine hohe Melkbarkeit ist negativ mit der Eutergesundheit verbunden. Zum Beispiel weil der Strichkanal bei schnell melkenden Tieren in der Regel weiter offen ist und Erreger so leichteren Zugang haben. Außerdem neigen schnell melkende Tiere bei prall gefüllten Eutern vermehrt zum Laufenlassen der Milch im Stall. In der Konsequenz werden in jeder Herde Bullen mit unter- und überdurchschnittlichem RZD gebraucht, um in der nächsten Generation dem Optimum für alle Tiere näher zu kommen. Daher macht der generelle Ausschluss von Bullen mit niedrigen RZD keinen Sinn. Vielmehr sollte es dem Anpaarungsprogramm oder der individuellen Züchteranpaarung überlassen bleiben für die jeweilige Kuh den passenden Bullen auch in Bezug auf Melkbarkeit zu finden. Dabei ist der gesamte mittlere Bereich von ca. 88 bis 112 bei den Kühen als Optimum zu betrachten, der auch absolut nicht zu unerwünscht niedrigen bzw. hohen Milchflüssen führt. Selbst extreme Bullen in Bezug auf Melkbarkeit sind für einzelne Kühe genau der richtige Anpaarungspartner. Fazit Die Melkbarkeit ist ein wichtiger Faktor in unserem täglichen Arbeitsfeld. Als Landwirt sollte man diese im Auge behalten da sowohl eine zu schnelle als auch eine zu langsame Melkbarkeit nicht zum Ziel der gesunden, alt werdenden Kuh führt. Es gilt auf Tiere mit extremen RZD-Zuchtwerten zu achten und diese gezielt anzupaaren. Eine pauschale Betrachtung des RZDs als KO-Kriterium ist also somit nicht zielführend und rechtfertig nicht den Ausschluss eines Bullens mit Vorzügen in anderen Merkmalen. Alexander Braune, RinderAllianz Eine optimale Melkbarkeit ist sowohl in Gruppenmelkständen als auch bei Roboterbetrieben wichtig. ©RinderAllianz

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