Rind und Wir - April 2022

MEHR SCHEIN ALS SEIN? Zuchtwerte und ihre Bedeutung in der Praxis Geht es Ihnen nicht auch of t so? Nächste Zuchtwertschätzung und die Fülle an Bullenkatalogen flattern Ihnen ins Haus. Die passenden Bullen wollen nun für die nächsten Anpaarungen ausgewählt werden. Doch welcher ist der Richtige? Und bei der Menge an Informationen, wie treffe ich da die beste Entscheidung? Verschenke ich vielleicht betriebswirtschaftlichen Erfolg, weil ich einen Bullen zu früh für meine Herde ausschließe? Fragen über Fragen! Eine kleine Hilfe kann Ihnen die wissenschaftliche Auswertung des VIT liefern, die hier für Sie aufbereitet wurde. Über die Zeit wurden immer mehr Daten zu den Bullen berechnet und veröffentlicht. So großartig das einerseits ist, so problematisch ist andererseits der Umgang damit, der zum Teil Spitzengenetik daran hindert, in sinnvollem Umfang eingesetzt zu werden. Wir streben nach einem Ideal, dem wir bei der Vielfalt der weiblichen Genetik natürlich nur mit ebensolcher Vielfalt auf der männlichen Seite nahekommen können. Dabei gibt es ihn nicht, den perfekten Bullen! Finde den Makel Ist es nicht auch bei Ihnen der Fall, wenn Sie einen neuen Mitarbeiter suchen, schauen Sie, welche Vorteile die einzelnen Bewerber haben. Sie orientieren sich an den Stärken der einzelnen Kandidaten! Doch warum nicht auch bei den Bullen? Hier schauen Sie sich die Seite an: Leistung, Gesamtzuchtwerte und das Linear. Entspricht hierbei ein Punkt nicht Ihrer Vorstellung, wird der Bulle ausgeschlossen. Doch ist das richtig? Oder entgeht Ihnen damit nicht auch viel Positives! Bullen wieTrailor, Ramos, Rudolph, Jeff oder Leif würden heute auf Grund ihres Linear ausgeschlossen werden, haben jedoch sicher auch bei Ihnen die besten alten Kühe hinterlassen! Dabei geht es nicht um die Bedeutung bei der Einzeltieranpaarung, sondern um den Ausschluss von Bullen in der Spermaauswahl der Betriebe. Erst kürzlich gab es in der Zeitschrift Holstein International einen Bericht über sogenannte K.-o.-Kriterien. Es gab darin ein klares Statement, dass einige herausragende Bullen, die für die Holsteinrasse mehr Bedeutung haben sollten, wegen Einzelmerkmalen zu wenig Einsatz erhalten. Als es weniger Informationen gab, wurde Spitzengenetik weniger hinterfragt Ein Bulle wie Gibor, der mittlerweile 25 Jahre alt wäre, mehr als 43.000 Töchter im deutschen Milchzuchtwert und 12.000 Töchter im Exterieurzuchtwert hat, war zur damaligen Zeit mit viel weniger Informationen ausgestattet. Dass der Bulle seinen Einsatz verdiente, zeigen die immer noch positivenWerte für RZ€ und RZN. Heute würde der eine oder andere diesen Bullen ausschließen, weil er einen Zuchtwert für Melkbarkeit hat, der in manchen Herden die Selektionsgrenze unterschreitet. Ist das immer gerechtfertigt? Was hat das mit der Praxis zu tun? Im Gesamtzuchtwert werden die sogenannten K.-o.-Kriterien nicht berücksichtigt, obwohl sie anscheinend aus Praktikersicht relevant sind. Sollte das geändert werden? Auf Anfrage beschäftigte sich Dr. Stefan Rensing, Zuchtwertexperte des VIT Verden, mit diesem Thema. „Es gibt oft fehlende oder gar falsche Einschätzungen der Beziehungen von Relativzuchtwerten zur phänotypischen Ausprägung“, sagt er. Ein kritischer Blick auf die Zusammenhänge ist daher angebracht. Was ist gemeint? Oft wird falsch eingeschätzt, wie die Relativzuchtwerte in der Praxis zu verstehen sind. Wenn sich beispielsweise der Relativzuchtwert Nutzungsdauer (RZN) um eine Standardabweichung (12 Punkte) verändert, dann bedeutet das eine Veränderung um ca. 260 Lebenstage (Tab. 1). Aber: Wenn ein Bulle einen RZN von 112 hat, dann ist zu beachten, dass das Kalb nur 50 % vom Vater erbt und 50 % von der Mutter, also erhöht sich das Überleben eines Nachkommen eines Vaters mit RZN 112 und einer Mutter mit RZN 100 um ca. 130 Tage (RZN des Nachkommen = 106). Der Außendienst bei der Tierbeurteilung zur BAP-Einzeltieranpaarung RINDUNDWIR April 2022 48

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