Rind und Wir - April 2022

RINDUNDWIR April 2022 20 DIE ZIELE RICHTIG DEFINIEREN! Zucht auf Hornlosigkeit Die Hornlosigkeit bei Rindern ist ein sehr altes Phänomen. Belege für hornlose Rinder aus archäologischen Funden von klar genetisch hornlosen Tieren reichen in Europa bis in den Zeitraum von 3.000 Jahren v. Chr. zurück. Umfangreiche Belege für hornlose Rinder gibt es aus dem alten Ägypten (2.000 Jahre bis wenige Hundert Jahre v. Chr.) und umfassen sowohl eine Fülle von bildhaften Darstellungen als auch archäologische Funde. Die Geschichte der Zucht auf Hornlosigkeit haben Schafberg und Swalve in einer Publikation (in Livestock Science, 2015) ausführlich dokumentiert. Wie bekannt, ist das Ausmaß des Vorkommens der Hornlosigkeit bei Rindern verschiedener Rassen sehr unterschiedlich. Während manche Fleischrinderrassen, wie die ursprünglich aus Schottland stammenden Rassen Angus und Galloway vollständig hornlos sind, waren hornlose Holsteinrinder bis vor ca. 10 bis 15 Jahren eher selten. Auch beim Holsteinrind sind aber, sowohl in Europa als auch in den USA, über einen langen Zeitraum – besser dokumentiert in den letzten knapp 150 Jahren – hornlose Tiere immer wieder erwähnt worden. Genetische Grundlagen Die Hornlosigkeit beim Rind ist aus genetischer Sicht eines der klassischen mendelschen Merkmale. Die Genetiker William Bateson und seine Kollegin Edith Saunders, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts maßgeblich zur „Wiederentdeckung“ der mendelschen Gesetze beitrugen und überhaupt den Begriff „Genetik“ erst prägten, verwendeten als ein Beispiel die Hornlosigkeit beim Rind. Mendelsches Merkmal bedeutet dabei, dass nur ein einziges Gen, welches in zwei Varianten vorkommt, für die Ausprägung des Merkmals verantwortlich ist, wobei eine Variante dominant über die andere sein kann (wie bei der Hornlosigkeit). Für die Hornlosigkeit hat sich eingebürgert, dass der Genotyp gehörnter Tiere mit pp (doppelt rezessiv) bezeichnet wird, reinerbig hornlose Tiere dem gegenüber dem PP-Genotyp aufweisen und Anlageträger mit Pp charakterisiert werden. Der Wechsel von Klein- auf Großschreibung bezeichnet dabei die Dominanz. Ganz im Gegensatz zu vielen Erbdefekten, bei denen der betroffene Genotyp meistens der doppelt rezessive ist, ist es bei der Hornlosigkeit umgekehrt. Die Hornlosvariante ist dominant. Dies führt dazu, dass bei einer Anpaarung mit einem reinerbig hornlosen PP-Tier der Nachkomme immer phänotypisch hornlos ist. Man könnte also hier schon schlussfolgern, dass die Zucht auf Hornlosigkeit ganz einfach wäre. Man verwendet eben nur noch PP-Bullen in der Zucht und schon in der nächsten Generation sind alle Nachkommen hornlos, wenn auch nicht reinerbig. Ganz so einfach ist es aber eben nicht, denn wenn man diese einfach erscheinende „Strategie“ anwenden würde, würde man gleichzeitig alle Prinzipien der Zucht auf einen Gesamtzuchtwert, auf ein balanciertes Zuchtziel und auf die Vermeidung der Einschränkung genetischer Vielfalt über Bord werfen. Aus der Sicht der Molekulargenetik ist festzuhalten, dass bezüglich der Hornlosigkeit die Varianten P und p zwar eindeutig unterscheidbar sind, so dass bei jedem Tier der Genotyp, ob nun PP, Pp oder pp, präzise geklärt ist. Es handelt sich aber nicht um ein klassisches Gen mit Varianten im proteinkodierenden Bereich des Gens. Vielmehr liegt eine Insertion bzw. Deletion im nicht-proteinkodierenden Bereich auf der DNA vor und es gibt sogar zwei Varianten der Hornlosigkeit in Europa und Amerika. Für eine Publikation einer Arbeitsgruppe der LMU München (Medugorac und Mitarbeiter) aus dem Jahr 2012 wurde eine Reihe von Rinderrassen untersucht und die Verbreitung der beiden Varianten der Hornlosigkeit wurde geographisch zugeordnet. In Nordeuropa (Schottland, Skandinavien), Frankreich und dem Alpenraum existiert eine Variante, die „keltische“ Variante genannt wird. Entlang der Nordsee existiert eine weitere Variante, die als „friesisch“ bezeichnet wird. Die „keltische“ Variante ist die Ursache der weiten Verbreitung der Hornlosigkeit Smaug PP – weiter die Nr. 1 der schwarzbunten homozygot hornlosen Holsteinbullen Deutschlands

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